The Coming Wave

English Version: Goodreads

Nach dem doch sehr deprimierenden Lese-„Erlebnis“ „Wie KI Dein Leben Besser Macht„, habe ich mir das Buch „The Coming Wave: Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts von Mustafa Suleyman geschnappt. Und vorab eine Entschuldigung: diese Rezension wird, für meine Verhältnisse, etwas länger. Daher:

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Aus der Innenperspektive eines KI-Gründers ist „The Coming Wave“ eine Mahnung, eine Warnung und auch ein vorsichtiger Versuch von Optimismus. Der Autor lässt keine Zweifel daran, wie wichtig KI als die neue revolutionäre Technik ist, wie es damals das Serien-Auto von Henry Ford. Er warnt aber auch vor den zahlreichen Risiken und den von der Politik noch immer unterschätzten Gefahren. Von daher fordert er auch eine sehr starke und strikte Regulierung.

Die Menschheitsgeschichte kennt Innovationsschübe, die unaufhaltsam wie ein Tsunami alles verändern – die landwirtschaftliche Revolution, die Dampfmaschine, das Internet. Künstliche Intelligenz ist die nächste große Welle, die Coming Wave, die auf uns zurollt, und wir sind darauf nicht vorbereitet. Als Mitgründer von DeepMind weiß Mustafa Suleyman wie nur wenige andere, was die neuen Technologien können und was sie anzurichten vermögen. In seinem wegweisenden, vielgelobten Buch verortet der KI-Pionier die kommende Welle in der Geschichte der Menschheit, spielt die politischen und gesellschaftlichen Folgen der neuen Technologien durch, und stellt sich dem größten Dilemma des 21. Jahrhunderts: wie wir von ihnen profitieren, ohne die Kontrolle zu verlieren.

Bald werden wir in unserem täglichen Leben von KI umgeben sein. Sie wird unseren Alltag organisieren, unsere Wirtschaft prägen, und sogar Kernaufgaben der Staatsverwaltung übernehmen. Als Mitgründer von DeepMind hat Mustafa Suleyman viele Jahre im Zentrum der KI-Revolution gearbeitet. Das kommende Jahrzehnt wird nach seiner Einschätzung von rasanten technologischen Sprüngen geprägt sein, von neuen technologischen Möglichkeiten, über deren Folgen und Risiken wir noch kein klares Bild haben. Eines aber wissen wir: Wir brauchen die KI, um die Herausforderungen zu meistern, vor denen wir stehen, etwa den Klimawandel. Gleichzeitig bergen die neuen Technologien Gefahren, wie sie von keiner vorherigen Fortschrittswelle ausgingen, bis hin zur Auflösung von Staaten und einer Verdrängung des Menschen. Was macht man mit einer Welle, die auf den Strand zurast und sich nicht aufhalten lässt? Man versucht sie zu kanalisieren. Genau das ist das Anliegen dieses Buches: Inmitten immer intensiver werdender geopolitischer Konflikte den schmalen Grat zu finden, auf dem wir die Früchte der Technologie ernten, ohne ihr zum Opfer zu fallen. Das ist die zentrale Aufgabe unserer Zeit.

Der Autor ist dabei das, was man wohl „vom Fach“ nennt: Mustafa Suleyman war Mitgründer von DeepMind, einem der führenden Unternehmen im Bereich künstliche Intelligenz, wurde später CEO von Microsoft AI und ist Mitgründer von Inflection AI.

Im Zentrum des Buches steht die These, dass wir gerade an der Schwelle zu einer neuen „Welle“ technologischer Veränderung stehen – eine Welle, die weit über klassische IT-Revolutionen hinausgeht, weil konvergente Technologien (KI, Biotechnologie, Energie, Quantencomputing u. a.) gleichzeitig greifen. Konvergent in diesem Zusammenhang bedeutet, dass sie sich gegenseitig beschleunigen. So ist KI ein wesentlicher Treiber der Bio-Tech, Quantencomputing wird KI weiter voran treiben.

Dem gegenüber besteht die dringende Notwendigkeit dafür zu sorgen, dass die Folgen von immer schnelleren Computern, besserer KI und billigere Bio-Tech nicht zu einem gesellschaftlichen Problem wird. Suleyman bezeichnet zentral das „Containment-Problem“: Wie halten wir mächtige Technologien im Zaum oder zumindest in verantwortbarem Rahmen, wenn ihre Wirkung exponentiell wird? Er zeigt ferner, wie diese technologische Welle potenziell nicht nur wirtschaftliche und soziale Umbrüche auslösen kann, sondern auch politische: die Rolle von Staaten, Machtverhältnisse, Überwachung, globale Ordnung kommen ins Spiel.

Was mir besonders gefallen hat:

  • Trotz der Breite des Themas (Technologie, Gesellschaft, Politik) gelingt Suleyman eine Sprache, die lesbar bleibt und dabei nicht im Jargon verloren geht, sondern zugänglich bleibt.

  • Dass der Autor selbst Teil der KI-Revolution war, macht seine Überlegungen umso gehaltvoller. Man spürt seine Distanz gegenüber übertriebenem Hype, aber auch eine gewisse Dringlichkeit, was seine Forderungen an die Politik und Gesellschaft angeht.

Ein paar kritische Gedanken, die dennoch erwähnenswert sind:

  • Wer bereits tief in Technologie-Debatten steckt, mag wenig Neues entdecken – einige Impulse erinnern an bekannte Diskurse.

  • An manchen Stellen wirkt die Skizze der Zukunft recht ambitioniert, die Geschwindigkeit und Reichweite der Veränderungen werden zum Teil als sehr hoch eingeschätzt.

  • Auch wenn das Buch seine Verantwortung betont: Es bleibt eine offene Frage, wie realistisch und umsetzbar manche der vorgeschlagenen Maßnahmen – etwa globaler Kontrolle oder Regulierung – sind.

Insgesamt hat man ohnehin den Eindruck, dass Suleymann hier ein wenig der Zauberlehrling ist. Er erkennt die positive Macht, aber auch die negative Gefahr der Technik, die er mit entwickelt hat. Es fällt ihm aber schwer, konkrete Maßnahmen zur Eindämmung zu benennen und vor allem betreibt er das beliebte Spiel „um die Regeln müssen sich andere kümmern“.

Dabei schiebt er die Verantwortung der Politik zu, die er gleichzeitig trotz gegenteiliger Beispiele, wie dem AI-Act der EU, für zu langsam und zu wenig wirksam hält. Wohl wissend, und das auch formulierend, dass er und die Treiber im Silicon Valley diese „Behäbigkeit“ nur zu gerne nutzen, um erst mal Geld zu machen und die Folgen der Gesellschaft zu überlassen.

Im Fazit aber ist „The Coming Wave ein extrem spannendes, gut geschriebenes und an manchen Stellen auch beängstigendes Buch. Nicht unbedingt wegen der KI. Sondern weil es sehr schön aufzeigt, wie Technik das Potential hat, unsere empfindliche Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen – wenn die, die für ihre Entwicklung und ihre Verwendung die Verantwortung tragen, dieser nicht gerecht werden.

Jetzt im Nachgang bedauere ich fast, dass das Buch ein Jahr ungelesen im Regal stand. Weil es vieles von dem, wo wir heute sind, schon damals erklärte. Und wenn der Autor recht hat, mit dem was er für morgen erwartet, ist es auch ein Arbeitsauftrag an Politik und Gesellschaft.

 

 

 

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